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Prof. Dr. phil. Dietrich Eggert verstorben

Mit Anteilnahme und Betroffenheit geben wir den Tod von Prof. Dr. Dietrich Eggert bekannt.

Er war Psychomotoriker der ersten Generation, stets konstruktiv-kritischer Begleiter, Ideengeber, Förderer des Nachwuchses in Praxis und Theorie.

2018 wurde ihm seitens der DGfPM eine Ehrenurkunde für seine großen Verdienste in der Psychomotorik verliehen.

* 08.11.1940 in Neumünster
† 12.01.2022 (Hannover)

„Wir behalten Dietrich Eggert als zugewandten, geselligen, interessierten und versierten sonderpädagogischen Psychologen und Psychomotoriker mit Visionen sowie immenser Schaffenskraft in Erinnerung. Dank seiner zahlreichen Vorträge und Veröffentlichungen wird er weiter im Bewusstsein für viele Wissenschaftler und Praktiker bleiben und seine Ideen weiterhin Bedeutung haben.“ (Reichenbach)

 

Nachruf von Prof. Dr. Christina Reichenbach, einer langjährigen Mitarbeiterin, wird auch erscheinen in: Praxis der Psychomotorik, 1/2022 (Februar).

Mit Dietrich Eggert ist einer der produktivsten sonderpädagogischen Psychologen und Psychomotoriker gegangen. Seine Karriere begann mit dem Studium der Psychologie, Soziologie und Publizistik an den Universitäten Hamburg und FU Berlin. Als Diplompsychologe war er von 1965-1967 Forschungsassistent bei Prof. Dr. Bondy in Hamburg. Nach seiner Tätigkeit als Assistent an der Psychiatrischen Klinik der Ruhruniversität Bochum bei Prof. Dr. Engelmeier, promovierte er 1969 bei dem renommierten Prof. Dr. Dr. G.A. Lienert.

Im Jahr 1971 nahm er einen Ruf als Professor für Sonderpädagogische Psychologie an der PH Hannover/Universität Hannover an und wirkte hier, trotz zahlreicher anderer Rufe, bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006.

Die Schwerpunkte seiner Arbeit lagen in der Klinischen Entwicklungspsychologie, der Sonderpädagogischen Psychologie, der (Förder-)Diagnostik und der Psychomotorik, stets geleitet von dem Ziel, behinderte Menschen zu integrieren und zu unterstützen.

Seine Wurzeln und Anfänge im Bereich der Diagnostik liegen bereits in den 60er Jahren, gemeinsam mit Bondy, später mit Schuck und anderen sowie weiterführend wurde seine Arbeit durch Lienert sehr geprägt. So entstanden durch sein Wirken zahlreiche diagnostische Verfahren, u.a. Hannover Wechsler Intelligenztest für das Vorschulalter (HAWIVA), Testbatterie für geistig behinderte Kinder (TBGB), Lincoln-Oseretzky-Test Kurzform 18 (LOS KF-18).

Bahnbrechend war sein Paradigmenwechsel von dieser standardisierten, normorientierten Diagnostik zu einer individuumsorientierten und prozessorientierten Diagnostik sowie einer Verbindung von Diagnostik und Förderung. Beginnend mit Schuck und anderen Mitarbeiter:innen entwickelte er neue Vorgehensweisen, die in mehrere diagnostischen Verfahren mündeten und unter dem Begriff diagnostische Inventare (DMB, RZI, DIAS, SKI u.a.) in der Psychologie, in der Heil- und Sonderpädagogik und der Psychomotorik bis heute sehr verbreitet sind. Mit seinen Ideen hatte er einen großen Einfluss auf Theorie und Praxis.

Dietrich Eggert entwickelte über die Jahrzehnte nicht allein diagnostische Verfahren, sondern auch verschiedene konkrete Praxiskonzepte zur Förderung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und dem Schwerpunkt Psychomotorik (u.a. Psychomotorisches Training 1975, Sonderpädagogische Psychomotorik 1994). Er entwickelte Konzepte, wie Psychomotorik in unterschiedlichsten Institutionen und mit verschiedener Klientel verankert sowie Diagnostik und Förderung verbunden werden können.

Dietrich Eggert kann als Koryphäe im Bereich Sonderpädagogik, Diagnostik und Psychomotorik bezeichnet werden. Er gehörte zu den ersten Befürwortern der gemeinsamen Erziehung und Integration behinderter und nicht behinderter Menschen. Er zeigte von Anfang an großes Interesse für Menschen mit besonderen Förderbedarfen, vor allem Kindern mit kognitiven Beeinträchtigungen sowie mit Lernbeeinträchtigungen, entwickelte Ideen und setzte Visionen in die Praxis um. Er schätzte die lebenslange Heterogenität der Menschen und argumentierte gegen die vorherrschende Praxis der Selektion, votierte für eine integrative, individuelle, bedürfnisorientierte Diagnostik und Förderung, weg von der Defizitorientierung, hin zur Ressourcenorientierung: „von den Stärken ausgehend“.

Dietrich Eggert hat eine ganze Generation von Wissenschaftlern und Praktikern beeinflusst, angeregt und bewegt, anders zu denken sowie jeden Menschen individuell zu betrachten.

Seine Beziehungen zur Psychomotorik entwickelten sich seit Ende der 1960er Jahre durch persönliche Begegnungen mit Ernst J. Kiphard und Friedhelm Schilling; Mit Kiphard zusammen gestaltete er das 1. Internationale Motorik-Symposium (1968) und veröffentlichten 1972 das Standartwerk „Die motorische Entwicklung normaler und behinderter Kinder“. Von nun an war Psychomotorik kontinuierlich ein Thema für Dietrich Eggert in der Lehre, Forschung und Praxis und führte zu Weiterentwicklungen der Psychomotorik. Dietrich Eggert gilt als ein „Ur-Gestein“ der Psychomotorik. So ist es ihm zu verdanken, dass Psychomotorik ca. 40 Jahre lang ein selbstverständliches Angebot in Schulen in der Region Hannover war, da er die angehenden Lehrer:innen dafür qualifizierte.

Dietrich Eggert war Mitglied im Aktionskreis Psychomotorik (1977), hatte die Schriftleitung der Zeitschrift motorik inne (1986-2002) und war Mitinitiator als sich erstmals Kolleg:innen für Gründungsüberlegungen der Wissenschaftlichen Vereinigung für Psychomotorik und Motologie (WVPM) 2004 in Hannover trafen, die dann 2006 gegründet wurde. 

Dietrich Eggert hat wesentliche Akzente gesetzt sowohl für Studierende der Psychologie als auch der Pädagogik, in Ausbildungsgängen der Physiotherapie, Ergotherapie, der Motopädie und der Motologie. Seine Lehrveranstaltungen sowie nationalen und internationalen Fortbildungen wurden stets sehr wertgeschätzt, sie waren dynamisch und von Enthusiasmus für Forschung, Lehre und Praxis geprägt. Seine Lehre war durchweg praxisorientiert, was sich auch in zahlreichen Exkursionen mit Studierenden niederschlug (u.a. Segeln mit behinderten Menschen, inklusives Arbeiten in Liverpooler Schulen).

Dietrich Eggert setzte sich in jahrzehntelanger Forschung, unzähligen empirischen Untersuchungen und Projekten mit zahlreichen Themen auseinander (u.a. motorische Entwicklung, Effektivität psychomotorischer Förderung, Selbstkonzeptförderung, …). Bereits 1969 thematisierte er Probleme und Ergebnisse empirischer Forschung, wobei er Forschungsprojekte initiierte, Ergebnisse in die Psychomotorik-Forschung einbrachte; er suchte stets auch den kritischen Dialog und mahnte in Bezug auf die Psychomotorik intensivere Forschungsbemühungen zum Nachweis der Wirksamkeit psychomotorischer Angebote an (u.a. 2009).

Dietrich Eggert hinterlässt ein reichhaltiges Werk an über 350 Publikationen, wobei seine Theorie und praxisbezogenen Arbeiten auch international Anerkennung fanden. Er hat über die Jahrzehnte zahlreiche Kontakte aufgebaut, so dass Kooperationen und Austausche vor Ort mit Fachvertretern u.a. in Australien, Finnland, Großbritannien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Schweiz entstanden, die in gemeinsamen Projekten, Publikationen und Studierendenaustauschen mündeten.

Dietrich Eggert vermochte es, Menschen zu begeistern und zu motivieren, nahm Ideen auf und förderte zahlreiche Mitarbeiter:innen, Studierende, Praktiker:innen und angehende Wissenschaftle:innen in ihrem Berufsleben. Durch seine Unterstützung, Motivation und Förderung hat er viele von ihnen zur Promotion und Habilitation begleitet und unterstützt. In Doktorandenkolloquien gab es regen Austausch in einer geselligen Atmosphäre. Wenn seine Weggefährt:innen berichten, wird deutlich, welche Bedeutung Dietrich Eggert für viele Menschen hat und wie er mit seiner Unterstützung und seinen Strategien so manche Wege mitgestaltet hat.

Als Zeichen seines persönlichen Engagements für Menschen mit besonderem Förderbedarf gründete er die Dietrich Eggert Stiftung für schulische Inklusion, welche Arbeiten prämiert, die sich für den Ausbau eines inklusiven Schulsystems einsetzen (https://www.dietrich-eggert-stiftung.de/stiftung).

Wir behalten Dietrich Eggert als zugewandten, geselligen, interessierten und versierten sonderpädagogischen Psychologen und Psychomotoriker mit Visionen sowie immenser Schaffenskraft in Erinnerung. Dank seiner zahlreichen Vorträge und Veröffentlichungen wird er weiter im Bewusstsein für viele Wissenschaftler und Praktiker bleiben und seine Ideen weiterhin Bedeutung haben.